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Gründungskonferenz

Am 22. Juni 2012 wurde der Grundstein für Gender Studies in Köln - kurz GeStiK gelegt. Unter der Verantwortung von Susanne Völker (wissenschaftliche Leitung) und Dirk Schulz (Geschäftsführung) wurde im Rahmen der zweitägigen Konferenz ‚Immer beweGENDER. Transformationen (in) der Geschlechterforschung‘ ein neues wissenschaftliches Zentrum für Geschlechterforschung gegründet. Institutionell an der Universität zu Köln angegliedert, verortet es sich darüber hinaus im Land NRW, um an landesweite politische und wissenschaftliche Schaffensprozesse der Genderforschung anzuknüpfen.

Die öffentliche Gründung der Gender Studies in Köln wurde durch Annelene Gäckle (zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Universität zu Köln), Hans-Joachim Roth (Dekan der Humanwissenschaftlichen Fakultät), sowie Max Christian Derichsweiler (Studierendenvertretung) gestaltet. Sie betonten die Bedeutsamkeit der Aufgaben und Ziele des Zentrums und würdigten das Engagement der beiden Gründungsverantwortlichen.

Tagungsbericht

„Immer beweGENDER. Transformationen (in) der Geschlechterforschung“

I.
GeStiK – Gender Studies in Köln ist ein neues, fakultätsübergreifendes Zentrum an der Universität zu Köln, das mit der Zielsetzung gegründet wurde, Projekte der Gender Studies zu vernetzen und ihnen mehr institutionelles Gewicht zu verleihen. Eine solche zentrale Struktur, die mehrere Kölner Hochschulen zusammenbringt, ist heute, wo selbst Exzellenzinitiativen an ‚Gendermainstreaming‘ gebunden sind, vielleicht wichtiger denn je. Die Gründung des Zentrums greift aber auch Wünsche der Kölner Studierenden nach einem eigenständigen Studiengang Gender Studies auf. Ein weiteres wichtiges Anliegen von GeStiK ist es auch, das interdisziplinäre Potenzial von Gender Studies hervorzuheben und zu unterstützen. Auf der zweitägigen Gründungskonferenz „Immer beweGENDER. Transformationen (in) der Geschlechterforschung“, die vom 22. bis zum 23. Juni 2012 in Köln stattfand, standen denn auch genau diese Ansätze zur Diskussion. Die Frage, was Gender (heute) heißt und wie, in welcher Weise man Gender Studies betreiben soll, besaß dabei durchaus spannendes Potenzial. Die methodisch-theoretischen Differenzen gerieten insbesondere bei den einzelnen Panels und Podiumsgesprächen immer wieder in den Blick und sorgten für lebhafte Diskussionen. Man muss diese Differenzen aber wohl als Stärke von GeStiK begreifen, denn das Zentrum fokussiert doch nicht nur Geschlechtsdifferenzen, sondern beruft sich auf einen intersektionalen Ansatz. Gerade die Mischung von wissenschaftlichen und gesellschaftskritischen Standpunkten zeichnete die Konferenz aus.

II.
Die Programmatik der Konferenz lässt sich in drei Stichwörtern greifen, die während der Tagung durchgängig fielen: Interdisziplinarität, Intersektionalität und Transformationen. Das Stichwort ‚Interdisziplinarität‘ fiel bereits bei den öffentlichen Veranstaltungen häufig und wurde in den Panels mit Beiträgen aus den unterschiedlichsten disziplinären Zusammenhängen in die Tat umgesetzt – darunter, zum Beispiel, historische Bildungsforschung, Ethnologie, Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft und pädagogische Psychologie. In diesem interdisziplinären Rahmen trafen quantitative, empirische Methoden auf abstraktere, theoretische Ansätze. Die Begegnungen fanden nicht nur zwischen den Vortragenden selbst statt, sondern auch zwischen Vortragenden und Publikum. So wurde beispielsweise aus postkolonialer Perspektive Kritik an bestimmten ethnologischen Projekten geübt; zudem geriet die Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik der Universität Köln infolge ihrer linearen Denkfiguren in die Diskussion.

Gender war hingegen nicht die einzige Identitätskategorie, die thematisiert wurde. Die Notwendigkeit, Differenzen anders zu denken, wurde mit dem Begriff der ‚Intersektionalität‘ eingeführt, dem sogar ein eigenes Panel gewidmet war. In ihrem Abendvortrag (Keynote) skizzierte UTE SACKSOFSKY (Frankfurt) das Konzept als Ausgangspunkt wichtiger aktueller Transformationen in den Gender Studies. In ihrem rechtswissenschaftlichen Vortrag zu Gleichheit und Gender ging Sacksofsky dabei insbesondere auf Kimberlé Crenshaws Pionierarbeit ein. Aber auch wenn der Begriff allen Beteiligten sehr wichtig zu sein schien, gab es wenige Projektvorstellungen, die sich explizit mit Intersektionalität beschäftigten. Nichtdestotrotz hat man den Eindruck, dass Intersektionalität immer wichtiger wird und eine ausgeprägtere wissenschaftliche Rezeption in Deutschland benötigt.

Auf Transformationen, wie sie die Konferenz im Titel trägt, gingen selbstredend viele Vorträge ein, die in historisierenden Rückblicken Geschlechterthemen präsentierten. Der Titel der Konferenz zielte aber zugleich auf etwas noch Allgemeineres, das alle Beiträge anging: die Transformationen der Geschlechterforschung als Forschungsgebiet selbst. Queer-theoretische Ansätze sowie die von manchen als bedrohlich empfundenes Konzept postkategorialen Denkens deuteten auf starke Transformationen in der Geschlechterforschung. Es entstand der Eindruck, dass Veränderungen der Gender Studies zwar an vielen Stellen deutlich werden, aber gleichzeitig in den Hintergrund geschoben werden.

III.
Ein Blick in die einzelnen Panels gibt Auskunft über die Vielfalt und die hohe Qualität der Beiträge: Nach einer Begrüßung, die sehr vom Erfolg der Kölner Exzellenzinitiative geprägt war, begann das erste Panel zur Geschlechtergerechtigkeit mit einem Beitrag von ELKE KLEINAU (Köln), der einen Rückblick auf die Geschichte der Gleichstellung von Frauen an den Universitäten um 1900 und in den 1960ern warf. In ihrer Auslegung der Kirchhoff-Studie von 1897 und der Anger-Studie aus den 1960ern zeigte die Referentin, wie nachhaltig Vorurteile und Stereotypen über Frauen in der Forschung wirken. Der daran anschließende Vortrag von CLAUDIA NIKODEM (Köln) ergänzte diese Einsichten um eine aktuelle Dimension, indem er auf theoretisch anspruchsvolle Weise die Transformationen der Gleichstellungspolitik an der Universität zu Köln in den letzten zwanzig Jahren kritisch in den Blick nahm. Nikodem problematisierte die Vorstellung von Fortschritt im Bereich Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik an der Uni Köln. Das kritische Potenzial des Panels stieg mit dem Vortrag von MAIKE HELLMIG (Köln) weiter an, die mit Kurzweil und Elan die Parallelen zwischen zwei gesellschaftlichen Konstruktionen aufzeigte, nämlich die zwischen Gender und Exzellenz.

Im Panel zur Intersektionalität und Diversität hat die kurzfristige Absage von ANNE WALDSCHMIDT (Köln) das Verständnis von Intersektionalität wahrscheinlich um mindestens eine Dimension eingeschränkt. Ohne ihren Beitrag zu Behinderung und Geschlecht fehlte dem Panel eine Dynamik, die die anderen Beiträge vielleicht hätte verbinden können. SUSANNE VÖLKERS (Köln) hielt einen Vortrag zur Prekarisierung von (Erwerbs-)Arbeit und brachte Butler und Bourdieu in ihrer Auseinandersetzung mit dem Begriff Prekarisierung zusammen. Völker verband queer-theoretische Konzepte mit empirischen Methoden, welche zusammen auf eine vielversprechende Forschungsstrategie hinausdeuteten, die ein neues Integrationsmodell beinhaltet. Die Ethnologin SIMONE PFEIFER (Köln), die stellvertretend für DOROTHEA SCHULZ über die Rolle von Frauen in Mali in der islamischen Erneuerungsbewegung sprach, stellte auch ihr eigenes Projekt zur Anwendung von Medien wie Facebook oder Hochzeitsalben bei immigrierten Frauen aus dem Senegal vor. Obwohl die Relevanz zum Thema Diversität in den ethnologischen Projekten klar war, wurde die Verbindung zur Intersektionalität während der anschließenden Diskussion nicht weiter erläutert.

Das Panel zu Queer Theory war das Kernstück der ganzen Konferenz. Der literarhistorische Beitrag von BEATE NEUMEIER (Köln) versammelte Textbeispiele aus dem Elisabethanischen Theater, die zeigten, wie Theaterschreiber wie Jonson, Fletcher oder Shakespeare die Monstrosität von Frauen in verschiedenen Dramengattungen inszeniert haben. CLAUDIA LIEBRAND (Köln) untersuchte ebenfalls gattungspezifische queere Elemente, allerdings aus der Mitte des 20. Jahrhunderts in zwei so genannten „Hollywood Sex Comedies”. Liebrands queere Lektüre stellte Ambiguitäten in Pillow Talk und That Touch of Mink heraus, die alternative Lesarten der Filme ermöglichen: Statt sie als oberflächliche, konservative und heteronormative Handlungen zu betrachten, argumentierte Liebrand, dass die Filme durch ihre Einladung zum Mitlachen sich gerade nicht über Homosexualität lustig machen. Ein anderes Verständnis von ‚queerer Lektüre‘ lag dem Vortrag von DIRK SCHULZ (Köln) zugrunde, der zeigte, dass eine queere Einstellung zu Identität oft gegen jegliche Festschreibung von Sexualität, Geschlecht oder anderen Kategorien zielt. Mit Lektüren von The Picture of Dorian Gray und Mrs. Dalloway zeigte Schulz, wie literaturwissenschaftliche Methoden und Queer Theory zusammengebracht werden können, um die vermeintliche Natürlichkeit einer Identität oder eines Konzeptes in Frage zu stellen. Während des abschließenden Gesprächs gab es viele Wortmeldungen zu Schulz’ Thesen, die eher bejahend als kritisch waren. MONIKA SCHOOP (Köln) referierte über die historische Laufbahn vom Zusammentreffen von Musikforschung, Popmusik und Genderforschung. Wenngleich sehr kurzweilig vorgetragen und mit unterhaltsamen Musikvideos unterlegt, wäre ein Einblick in Schoops Forschungsprojekt und seine Verortung in der Musik- bzw. Genderforschung im Rahmen des Panels vermutlich passender gewesen als ein historischer Überblick.

Im Panel zum Thema Bildung und Lernen trafen zwei sehr unterschiedliche Vorträge aufeinander. ANDREA GUTENBERG (Köln) gab einen Einblick in wissenschaftliche Untersuchungen zum Fremdsprachenlernen in Bezug auf Gender und Queer Studies. Gutenberg zeigte, dass im Englischunterricht Genderthemen oft marginalisiert werden, es aber gleichzeitig auch neue Impulse aus der Queer Theory gibt, die anwendungsbezogene Methoden für Lehrende anbieten. URSULA KESSELS (Köln) stellte die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen zur Identitätsregulation vor, die zeigen, dass bestimmte Schulfächer stark mit geschlechtsspezifischen Merkmalen assoziiert werden. Die Unterschiede zwischen den disziplinären Ansätzen waren dem Kontrast zwischen Kessels empirischen Methoden und Gutenbergs theoretisch-informiertem, aber auch praxisorientierten Vortrag ablesbar. Leider war CHRISTINE GARBE nicht anwesend, um ihren Vortrag zu Grundlagen und Umrissen eines gendersensiblen Curriculums zu präsentieren, der eine weitere pädagogische Perspektive auf die Empirie der psychologischen Forschung hätte einbringen können.

Das letzte Panel zum Thema Männlichkeit war sehr abwechslungsreich und verband so unterschiedliche Dinge wie historische Perspektiven auf das frühe deutsche Kino, Gymnasiasten um 1900 und die Rolle des amerikanischen Westens für afroamerikanische Männlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Das Panel begann mit einer Einführung in kritische Männlichkeitsstudien von BRITT DAHMEN (Köln), der Moderatorin dieses Panels. Als Ersatz für den Vortrag von NORBERT FINZSCH (Köln), der nicht anwesend sein konnte, stellte CHRISTIANE KÖNIG (Köln) ihr Habilitationsprojekt vor, in dem sie queere Männlichkeiten im deutschen Kino aus einer medienkulturwissenschaftlichen Perspektive untersucht. Man hätte sich mehr Zeit gewünscht, um Fragen zu stellen, zumal sich König noch in der spannenden Anfangsphase ihres Projekts befindet. Im Anschluss stellte WOLFGANG GIPPERT (Köln) die „Überbürdungsdebatte“ im Deutschen Kaiserreich vor, eine Debatte um die anstrengenden und teilweise als unmoralisch betrachteten Zustände an den Gymnasien, die um 1900 Lösungsansätze aus verschiedenen Bereichen angestoßen hat. Gippert verband diese Bildungskrise mit einer “Krise der Männlichkeit” um die Jahrhundertwende. Die Verbindung blieb jedoch eine Randbemerkung, und die kritischen Punkte für Männlichkeitsstudien blieben entsprechend implizit. DOMINIK OHREM (Köln) stellte sein Projekt zu afroamerikanischen Männlichkeitskonstruktionen und der Rolle der frontier vor. Leider konnte Ohrem aus Zeitgründen nicht alle vorgesehenen Punkte erläutern, was besonders im Hinblick auf seine historischen Dokumente und Bilder schade war.

Die „Input”-Session, in der Qualifizierungsarbeiten von Kölner Hochschulen vorgestellt wurden, gab einen Einblick in drei Projekte aus drei sehr unterschiedlichen Bereichen. JOHANNES BREUER stellte die Ergebnisse seiner Analyse von The Rocky Horror Picture Show mit queeren Perspektiven vor, mit einem Schwerpunkt auf Machtverhältnissen und ihrer Auswirkung auf der diegetischen Ebene des Films und auf der außer-diegetischen Ebene des Medialen. BERIT VÖLZMANN promoviert zur Geschlechterdiskriminierung in der Wirschaftswerbung und zeigte durch ihre juristische Argumentation, wie sexistische Werbung auch rechtlich diskriminierend ist. KATHARINA DESERNO stellte ihr Projekt zu Lisa Cristiani, der ersten öffentlich auftretenden weiblichen Cellistin, vor. Mithilfe ausgeprägter Kenntnisse der Musikgeschichte zeigte Deserno, wie Cristiani in ihren Tagebüchern Diskurse des 19. Jahrhunderts einbezieht, die sehr stark von Gendernormativität geprägt waren.

IV.
Die zwei Tage waren voll mit Projekten, Ideen und Wünschen für die Zukunft von GeStiK, sodass man gespannt auf die nächste Gelegenheit sein kann, erneut intensiv über die Gender Studies in Köln zu sprechen. Trotz mancher grundlegender Unterschiede zeigten die Vorträge, dass Gender als Fragenkomplex alle Disziplinen betrifft. GeStiK wird hoffentlich weiterhin Foren anbieten, wo Projekte zu Gender aus verschiedenen Bereichen präsentiert werden können und wo tiefergehende Auseinandersetzung mit Themen stattfinden können, die leider zur Grundungskonferenz nicht ausführlich diskutiert worden konnten – wie zum Beispiel postkategoriale Antidiskriminierung oder Intersektionalität.

Japhet Johnstone